Die versteckte Erbschaft

 

© Jasmina Groeschel,

  Das Telefon klingelte. Am anderen Ende der Leitung war eine Bekannte. Sie erzählte mir, dass sie umgezogen sei und seitdem, so meinte sie, ein echtes Spukproblem habe. Sie benötige meine Hilfe bei der Klärung. Ob ich ihr den helfen würde.

 Ich bat sie zu erzählen.

Also es war so, dass ich und Peter nun endlich zusammenzogen. Wir fanden eine kleine, aber nette Wohnung im Nachbarort. Seitdem wir dort wohnen geschehen seltsame Dinge. Ständig fallen Bücher aus den Schränken. Egal wie ich sie staple, kurz darauf liegen sie am Boden. Erst habe ich Peter verdächtigt, dass er mir einen Streich spielen will. Doch letztes Wochenende waren wir gemeinsam unterwegs und als wir heim kamen lagen wieder die Bücher auf dem Teppich. Doch diesmal wusste ich sicher, dass er es nicht sein konnte. Ich überlegte dann ob ein Tier hier in der Wohnung wäre. Oder ob der Vermieter einen Schlüssel hat und sich einen Scherz erlaubt. Glaube mir, da gehen dir sämtliche Dinge durch den Kopf.“

 Also räumte ich die Bücher wieder ein. Kaum waren sie wieder im Regal, fiel eines vor meinen Augen wieder heraus. Das ergab keinen Sinn. Also schimpfte ich vor mich hin, bückte mich und hob es auf. Währenddessen ich das tat fiel mir so ein dummes Buch auf den Kopf.„

 Du weißt ich bin hart ihm nehmen und mich erschüttert nicht so schnell etwas. Aber so kann es nicht weitergehen. Vielleicht hat es etwas mit Peters Vorfahren zu tun? Die Wohnung ist ein Neubau. Also kann es damit nicht zusammenhängen.“

 Ich dachte mir deshalb, wir könnten auf den Dorffriedhof fahren und mal bei den alten Gräbern seiner Familie recherchieren. Ich weiß nicht wieso, aber es wäre ein Anfang. Denn seine Familie brauchen wir nicht zu fragen. Die reagieren auf solche Geschichten nicht erfreut. Das habe ich schon probiert.“

Wir vereinbarten uns am nächsten Nachmittag zu treffen.

 

Am nächsten Tag schlenderten wir über den besagten Friedhof und Sandra sah sich jeden Grabstein und dessen Inschrift genau an. Als sie fast damit fertig war stand ich etwas abseits und sinnierte darüber warum der Friedhof in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt war. Bei der Überprüfung stellte ich fest, dass diese abgelegenen Gräber für Menschen anderen Glaubens als der Ortsansässigen reserviert waren. Vielleicht so fiel es mir ein, hat es ja gar nichts mit Peters Verwandtschaft zu. Vielleicht müssen wir das auch getrennt betrachten?

Plötzlich drehte ich mich in Sandras Richtung. Ohne darüber nachzudenken, warum ich das eigentlich tat stellte ich folgende Frage: „Wer steht hinter Sandra?“

Augenblicklich sah ich hinter ihr einen älteren Mann. Er trug ein hellblaues, kariertes Hemd und eine Stoffhose. Fast angelehnt an Sandra, schaute er neugierig über ihre Schulter und las mit, was auf dem Grabstein vor ihnen stand.

Innerhalb kürzester Zeit, bekam ich sehr viel Wissen über diesen Mann . Ich fühlte mich wie ein Computer, der in einer unbeschreiblich kurzen Zeit viel Input und etliche Daten über diese Seele erhielt.

 Ein sehr wacher, interessierter Mensch der auch Humor besitzt und etwas zu klären hat. In keinster Weise verspürte ich ein Angstgefühl. Dieser Mann der dort stand, war für mich als Seele klar erkennbar. Andererseits zu menschlich, als dass ich mich bedroht hätte fühlen können. Er hatte zwar das Aussehen einer normale Person, trotzdem sah der Körper gläsern aus und besaß nicht diese Dichte, die wir Lebenden besitzen. Mir war sofort klar, was in diesem Moment geschah und blockierte es. So kannte ich das noch nicht und es beunruhigte mich. Ich musste diese neue Erfahrung erst einmal gedanklich abwägen.

Ich schlenderte also langsam und verwirrt zu meiner Freundin.

In meinen Kopf herrschte Chaos: „Sollte ich ihr etwas davon erzählen? Hält sie mich dann für irre? Wie soll ich ihr das sagen? Und wer war das eigentlich?“

Sandra bemerkte meine Verwirrtheit sogleich und hakte nach. Ich schwieg erst einmal und erklärte ihr nur, dass ich in Gedanken versunken wäre. Doch sie glaubte es nicht, da sie mich sehr gut kannte. Also blieb mir nichts anderes übrig, als sie über die Umstände aufzuklären. So sprudelte alles nur so aus mir heraus.

Sandra stand hilflos da und Tränen füllten ihre Augen. „Ich weiß“, sagte sie „hier geht es um meinen Urgroßvater! Ich hatte immer, obwohl ich ihn nie kennenlernen durfte, das Gefühl er ist bei mir!“

Aufgrund Sandra und des positiven und freundlichen Auftretens dieses Geistes, öffnete ich mich langsam wieder.

Wir setzten uns ins Auto und fuhren Richtung Heimat. Da sprach mich dieser Geist an.

Ich sah ihn zwar nicht, hatte aber bereits vorher seine Anwesenheit gespürt. Er sagte zu mir: „Du musst mir bitte helfen! Ich habe seit langem etwas wichtiges aufzuklären! Ich bin der Großvater von Sandra“

Zuerst war ich damit überfordert. Trotzdem fühlte ich im Innersten, dass ich auch ihm helfen musste. Nicht nur Menschen bedürfen meiner Hilfe, nein ich musste auch diesem armen Geist helfen. Aus diesem Grund fuhren wir, auf Wunsch des Großvaters, zu Sandras Mutter.

Bei ihr angekommen begannen wir vorsichtig das Thema anzuschneiden.Irgendwie sind solche Themen immer etwas ganz Heikles. Man weiß nie, wie Menschen auf so etwas reagieren.

Sandras Mutter war sehr offen und so konnte ich ihr alles erzählen und richtete ihr aus was der Geist zu mir sprach. Ich war sozusagen der Dolmetscher. Er redete mit mir und ich gab das Gesagte weiter:

Mein Kind, es tut mir von Herzen leid. Verstehe doch, ich konnte damals nicht anders handeln. Meine Hände waren gebunden. Ich liebe Dich sehr!“

Sandras Mutter sah mich an und Tränen liefen über ihre Wangen bis sich ein ganzer Bach Herzzerreißend über ihrem Gesicht ergoss. Sie war glücklich und berührt, aber auch traurig.

Immer wieder murmelte sie: „Ich habe gewusst, dass es nicht stimmt. Ich habe es gewusst!“

Neugierig über ihre Worte, fragten Sandra und ich nach. Ihre Mutter erzählte uns etwas, dass sie noch mit niemanden in ihrer Familie oder Freunden besprochen hatte. Ihr Großvater hatte zwei Kinder. Ihren Vater und ihren Onkel. Der Vater bekam „nur“ zwei Töchter, während der Onkel Söhne zeugte. Doch der Großvater liebte seine Enkelin über alles. Er hatte wirklich kein einfaches Leben, aber er war ein freundlicher Mensch, nett humorvoll und neugierig auf das, was die Welt so in sich barg.

Allerdings war auch er an die damalige Etikette gebunden. Deshalb konnte er trotz aller Liebe zu den Enkelinnen, diesen keine persönlichen Dingen vererben. Alles wurde an die Söhne des Onkels, als männliche Nachfolger vererbt.

Als junge Frau und auch als ältere Erwachsene, verstand sie das alles nicht und zweifelte an der Liebe, die er ihr zu Lebzeiten vorgab. Musste doch die Familie auf Grund dieser alten Sitte ein eher bescheidenes Dasein führen. Nun aber schien sie zu verstehen und fand ihren Frieden.

Der Großvater war während der Erzählung anwesend. Auch wenn die Anderen ihn nicht sehen konnten, so fühlten sie ihn.

Er bat mich noch ein letztes Mal etwas an die Mutter von Sandra mitzuteilen.

So sag ihr: Das Buch das sie bekam, es ist ein größeres Geschenk als sie zu glauben meint.“

Verdattert sah Sandras Mutter zu mir. Ein paar Sekunden später rannte sie in einen kleinen Raum in ihrer Wohnung. Wir liefen hinterher.

In diesem Zimmer stand ein kleine Kommode die sie von oben öffnete und darin herum kramte. Wortlos zog sie einen mittelgroßen Karton heraus und öffnete diesen vor uns. Darin befand sich auch ein Buch.

Sie hob es hoch und sagte feierlich: „Dieses Buch ist das einzige was ich je von meinem Großvater vererbt bekam. Durch meine Enttäuschung über dieses unpersönliche Geschenk verstaute ich es seit Beginn in diesem Karton und rührte es nieder wieder an.“

Sie blätterte neugierig im Buch. .

Das Buch blieb beim Blättern an einer Stelle von alleine offen. Dort war fein säuberlich ein Quadrat aus den Blättern heraus geschnitten. In diesem Viereck befand sich ein kleiner Gegenstand in hellbraunen Seidenpapier eingewickelt.

Sandras Mutter nahm diesen vorsichtig heraus und entfaltete das Papier. Zum Vorschein kam ein edler Goldring mit dem Siegel des Großvaters. Wir staunten und waren alle zutiefst berührt. Zu unglaublich war es, was wir erlebten.

Der Geist verschwand schweigend. Alles war gesagt.

 

© Jasmina Gröschel